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Version 1.07

Standard "Pflege von Senioren mit einem posttraumatischen Belastungssyndrom"

 
Bombenangriffe, getötete Ehepartner, Verschleppung, Vergewaltigung und Vertreibung. 60 Jahre lang hat die Kriegsgeneration ihre schrecklichen Erinnerungen verdrängen können. Jetzt lassen demenzielle Erkrankungen diese Schutzwände bröckeln.
 

Wichtige Hinweise:

  • Zweck unseres Musters ist es nicht, unverändert in das QM-Handbuch kopiert zu werden. Dieser Pflegestandard muss in einem Qualitätszirkel diskutiert und an die Gegebenheiten vor Ort anpasst werden.
  • Unverzichtbar ist immer auch eine inhaltliche Beteiligung der jeweiligen Haus- und Fachärzte, da einzelne Maßnahmen vom Arzt angeordnet werden müssen. Außerdem sind etwa einige Maßnahmen bei bestimmten Krankheitsbildern kontraindiziert.
  • Dieser Standard eignet sich für die ambulante und stationäre Pflege. Einzelne Begriffe müssen jedoch ggf. ausgewechselt werden, etwa "Bewohner" gegen "Patient".

 

Dieses Dokument ist auch als Word-Dokument (doc-Format) verfügbar. Klicken Sie hier!

 

Standard "Pflege von Senioren mit einem posttraumatischen Belastungssyndrom"

Definition:
  • Belastungsreaktionen sind psychische Reaktionen auf krisenartige Lebenssituationen oder Lebensveränderungen. Sie können auch bei psychisch bislang unauffälligen Menschen auftreten.
  • Bei einer akuten Belastungssituation reagiert der Betroffene zeitnah auf das Ereignis, etwa mit Angst, Panikzuständen oder Rückzug. Die Symptomatik klingt aber nach einigen Tagen wieder ab.
  • Bei einer posttraumatischen Belastungsreaktion ist der zeitliche Abstand zwischen Ereignis und Reaktion mit oftmals mehreren Monaten bis hin zu Jahrzehnten deutlich größer. Die Beeinträchtigungen können phasenweise auftreten mit schwankender Intensität. Das zugrundeliegende Ereignis ist i.d.R. eine lebensbedrohliche Situation, wie etwa Folter, Entführung, Mord, Vergewaltigung oder Kriegsgeschehnisse.
  • Bei Senioren kann es auch viele Jahrzehnte später zu einer Reaktivierung des Traumas kommen. Vor allem dementielle Erkrankungen schwächen die bislang erfolgreich eingesetzten Verdrängungsmechanismen des Bewohners.
  • In sog. "Flashbacks" brechen dann die Erinnerungen wieder auf. Der Bewohner hat das Gefühl, dass sich das Trauma in diesem Augenblick wiederholt und "real" ist. Diese Flashbacks können etwa durch visuelle Eindrücke, Geräusche, Gerüche oder taktile Eindrücke ausgelöst werden.
Grundsätze:
  • Das Thema "posttraumatische Belastungsstörung" wird in unserer Einrichtung nicht tabuisiert. Sofern es für die seelische Gesundheit unserer Bewohner zuträglich ist, arbeiten wir auch sehr belastende Themen wie sexuelle Gewalt oder Kriegshandlungen auf.
  • Gleichwohl dürfen posttraumatische Belastungsstörungen nicht als allgemeines Erklärungsmodell für alle Arten von psychischen Störungen herhalten. Viele Menschen der Kriegsgeneration haben die NS-Zeit ohne seelische Verletzungen überstanden und auch später keine entsprechenden Traumata durchlebt. Etwaige Verhaltensauffälligkeiten haben dann andere Ursachen.
  • Die Pflege und Betreuung von betroffenen Senioren ist insbesondere für die Bezugspflegekraft eine fordernde und schwierige Tätigkeit. Wir berücksichtigen bei allen Maßnahmen stets auch die Belastungsgrenzen unserer Mitarbeiter.
Ziele:
  • Der Bewohner spürt, dass wir seine Probleme ernst nehmen.
  • Die Probleme des Bewohners werden für uns sichtbar und begreifbar.
  • Wir finden die Auslöser, die die Flashbacks beim Bewohner auslösen und vermeiden diese.
  • Wir ermöglichen es dem Bewohner, sich aktiv mit seinen Problemen auseinander zu setzen.
  • Wir schützen unsere Pflegekräfte vor übermäßigen psychischen Belastungen.
Vorbereitung: achten auf Symptome

Posttraumatische Belastungsstörungen deuten sich vielfach an, noch bevor es zu schwerwiegenden Verhaltensstörungen kommt. Es gibt häufig auch biografische Bezüge, die eine Traumatisierung möglich erscheinen lassen. Es ist wichtig, solche Störungen frühzeitig zu entdecken und ggf. auch mit Hilfe eines Therapeuten aufzuarbeiten. Wenn der Betroffene später eine Demenz entwickelt, werden die Informationssammlung und etwaige Therapiemaßnahmen deutlich erschwert.

  • Der Bewohner hat nächtliche Albträume. Er schläft unruhig, spricht ggf. im Schlaf. Ggf. kommt es zum Einnässen, obwohl keine auslösenden körperlichen Beeinträchtigungen vorliegen. Es kommt zur Kotschmiererei.
  • Der Bewohner vermeidet bestimmte Situationen, etwa Dunkelheit.
  • Bewohnerinnen kleiden sich bewusst unauffällig, vermeiden Schmuck, Make-up und weibliche Frisuren.
  • Der Bewohner ist anderen Menschen gegenüber misstrauisch und vorsichtig.
  • Der Bewohner zeigt eine geringe Rücksichtnahme auf sich selbst. Sein Verhalten ist angepasst. Er versucht zu "funktionieren".
  • Bewohnerinnen sind sexuell überaktiv und zeigen Verhalten, das von anderen Menschen als "schamlos" empfunden wird.
  • Es kommt zum sozialen oder zum emotionalen Rückzug. Der Bewohner neigt zu depressiven Stimmungen.
  • Der Bewohner vermeidet Kontakt mit Menschen einer bestimmten Sprachgruppe / ethnischen Herkunft oder mit Menschen in Uniform. Der Bewohner entwickelt Antipathien gegen bestimmte Pflegekräfte, Mitbewohner oder andere Personen, für die es keine nachvollziehbaren Gründe gibt. Es kommt zu unberechtigten Schuldzuweisungen oder verbalen Angriffen.
  • Der Bewohner zeigt Suchtverhalten.
  • Es gibt Informationen über zurückliegende Suizidversuche oder psychiatrische Behandlungen.
  • Bei der Körperpflege bemerkt die Pflegekraft Narben, die auf Folter oder auf andere Gewaltanwendung hindeuten.
  • Im Rahmen der Biografiearbeit gibt es zeitliche Lücken, weil sich der Bewohner zu bestimmten Lebensabschnitten nicht äußern möchte. Dieses Indiz ist umso relevanter, wenn der Bewohner ansonsten sehr auskunftsfreudig ist.
  • Der Bewohner war ein politischer Gefangener im NS-Regime oder in der sowjetisch besetzten Zone bzw. in der späteren DDR.
  • Die Biografie lässt auf Beziehungsstörungen schließen. Der Bewohner hatte zahlreiche Beziehungen mit zumeist kurzer Dauer.
  • Die Bewohnerin hat ein Kind, das zwischen Herbst 1945 und Sommer 1946 geboren wurde, das also mit einiger Wahrscheinlichkeit aus einer Vergewaltigung hervorging. Häufig ist das Verhältnis zu diesen Kindern schlechter als zu Geschwistern, die vorher oder danach geboren wurden.
  • Der Bewohner zeigt bei bestimmten Pflegemaßnahmen Angstreaktionen, also insbesondere erhöhten Puls, beschleunigte Atmung, gesteigerte Schweißproduktion oder Versteifungen der Extremitäten. Sie lassen die Maßnahme passiv über sich ergehen. Oder aber sie zeigen aggressives Verhalten und wehren sich nach Leibeskräften, schreien, treten, beißen und kratzen.
Informationssammlung
  • Wir führen eine sorgfältige Biografiearbeit durch. Uns ist bewusst, dass viele Bewohner bestimmte Ereignisse aus Scham nicht von sich aus ansprechen werden.
  • Wir suchen den Dialog mit den Angehörigen. Falls wir das Gefühl haben, dass auch diese bestimmte Geschehnisse verschweigen, machen wir sie auf die Dringlichkeit aufmerksam. Wir können den Bewohner nur dann angemessen pflegen, wenn wir über alle relevanten Informationen verfügen.
Durchführung: Zuweisung der Bezugspflegekraft
  • Wir achten bei der Zuweisung der Bezugspflegekraft darauf, dass diese eine angemessene Betreuung sicherstellen kann. Die Kriterien ergeben sich aus der auslösenden Traumatisierung. Etwa: Gleichgeschlechtliche Pflegekraft, Vermeidung von Pflegekräften mit einem bestimmten Akzent (etwa russisch oder englisch) oder einer bestimmten Hautfarbe (etwa dunkelhäutig).
  • Zudem sollte die Bezugspflegekraft Erfahrungen im Umgang mit traumatisierten Senioren haben. Dieses ist i.d.R. erst nach mehreren Berufsjahren der Fall.
  • Falls notwendig erhalten diese Bezugspflegekräfte eine entsprechende Fortbildung im Rahmen externer oder interner Seminare.
  • Wenn die Bezugspflegekraft krank ist oder Urlaub hat, sollte der Kreis der Vertretungskräfte möglichst klein sein.
Gespräche
  • Wir stehen dem Bewohner jederzeit zur Verfügung, wenn dieser über seine Situation sprechen möchte.
  • Wir achten auf eine vertrauensvolle Umgebung, insbesondere führen wir die Gespräche ohne die Anwesenheit anderer Bewohner.
  • Die Pflegekraft vermittelt ein Gefühl der Geborgenheit und der Akzeptanz.
  • Wir vermeiden Suggestivfragen, etwa wenn die Pflegekraft bereits einen konkreten Verdacht hat und diesen bestätigen will.
  • Wir vermeiden es, allzu neugierig nachzufragen. Wenn der Bewohner offenkundig über ein Thema nicht sprechen will, drängen wir ihm ein Gespräch darüber nicht auf. Im Zweifel überlassen wir es den Fachärzten und Physiotherapeuten zu entscheiden, wie weit "nachgebohrt" werden soll.
  • Wir unterlassen jede moralische Bewertung. Etwa dass "die Deutschen" als Kriegsauslöser für die Vertreibung "selber schuld" sein. Die Pflegekraft achtet aber auch auf Distanz, z.B. wenn ein Bewohner den Wunsch nach Rache an einem Peiniger äußert oder allgemein "die Russen" oder "die Franzosen" ablehnt.
  • Wir bewahren diese Neutralität auch, wenn der Betroffene offenbart, dass er selbst Täter war, also etwa feindliche Soldaten tötete oder Gefangene misshandelte. Derartige Informationen werden strikt vertraulich behandelt und weder Mitarbeitern noch Angehörigen mitgeteilt. Sie werden auch nicht schriftlich fixiert.
Berührungen
  • Körperlicher Kontakt kann z.B. für ein Missbrauchsopfer schwer zu ertragen sein. Da aber Berührungen insbesondere bei pflegebedürftigen Senioren nicht vermeidbar sind, achten wir darauf, dass diese nicht zu belastend für den Bewohner sind.
  • Die Berührungen werden vorher angekündigt, damit sich der Bewohner auf sie einstellen kann. Dem Bewohner wird immer ein kurzer Augenblick gelassen, damit er widersprechen kann, wenn er die Berührung nicht wünscht. Das kann etwa ein Zurückzucken, ein Laut oder ein mimischer Ausdruck sein. Auch bei bewusstlosen Se

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Weitere Informationen zu diesem Thema
Schlüsselwörter für diese Seite Trauma; Vergewaltigung; Demenz; Belastungssyndrom
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