|
|
Version 2.6a - 2015 |
|
Standard "Nutzung von Antidepressiva bei Senioren" |
|
Die
rigorosen Sparvorschriften der Krankenkassen lassen eine angemessene
therapeutische Behandlung depressiver Senioren kaum noch zu.
Stattdessen gibt es billige Antidepressiva - die immerhin in rauen
Mengen. Was Pflegekräfte über den richtigen Einsatz dieser Wirkstoffe
wissen müssen, haben wir in einem Standard zusammengefasst. |
|
Wichtige Hinweise:
- Zweck unseres Musters ist es nicht,
unverändert in das QM-Handbuch kopiert zu werden. Dieser
Pflegestandard muss in einem Qualitätszirkel diskutiert und
an die Gegebenheiten vor Ort anpasst werden.
- Unverzichtbar ist immer auch eine
inhaltliche Beteiligung der jeweiligen Haus- und Fachärzte,
da einzelne Maßnahmen vom Arzt angeordnet werden müssen.
Außerdem sind etwa einige Maßnahmen bei bestimmten
Krankheitsbildern kontraindiziert.
- Dieser Standard eignet sich für die
ambulante und stationäre Pflege. Einzelne Begriffe müssen
jedoch ggf. ausgewechselt werden, etwa "Bewohner" gegen
"Patient".
Dieses Dokument ist auch
als Word-Dokument (doc-Format) verfügbar.
Klicken Sie hier!
|
|
Standard "Nutzung von Antidepressiva bei Senioren"
|
Definition:
|
- Die Stimmungslage des Menschen ist zu einem
Teil abhängig von chemischen Prozessen, die aufgrund verschiedenster
krankhafter Veränderungen gestört sein können. Als Folge treten ggf.
Depressionen auf.
- So steuert der Neurotransmitter Noradrenalin
die Wachheit, den Antrieb und die Motivation. Der Stoff Serotonin lenkt
Aggressionen und den Appetit. Beide Neurotransmitter beeinflussen die
Stimmung und das Angstempfinden.
- Alle derzeit verfügbaren Antidepressiva
beeinflussen die Verfügbarkeit dieser Stoffe im Hirn und dämpfen damit
Depressionen. In unserer Einrichtung kommen vor allem folgende
Stoffklassen zum Einsatz:
- Trizyklische Antidepressiva hemmen die
Wiederaufnahme der Neurotransmitter Serotonin und Noradrenalin. Die
Arzneimittel wirken stimmungsaufhellend, antriebssteigernd und
angstlösend. Diese Stoffklasse ist sehr wirksam, allerdings um den
Preis von deutlichen Nebenwirkungen wie Herzrhythmusstörungen,
Kreislaufregulationsstörungen, Mundtrockenheit und Obstipation. Deshalb
sind diese Stoffe für alte Menschen oft nicht geeignet.
- Monoaminooxidasehemmer (MAO-Hemmer) erhöhen
die Konzentration von Serotonin und Noradrenalin im Gehirn. Diese
Klasse ist weniger wirksam als trizyklische Antidepressiva, belastet
dafür aber den Bewohner mit erträglicheren Nebenwirkungen. Dennoch kann
es zu Schlafstörungen, Schwindel, Kopfschmerzen oder zu
Blutdruckerhöhungen kommen.
- Gerade bei Senioren kommen oft modernere
Antidepressiva zum Einsatz, wie etwa die selektiven
Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) oder die selektiven
Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SSNRI). Sie verursachen
weit weniger Nebenwirkungen, zumeist gastrointestinale Symptome, Unruhe
und Schlafstörungen.
- Johanniskrautpräparaten wurde bislang
lediglich ein Placeboeffekt zugesprochen, neue Studien belegen jedoch
eine Wirksamkeit bei leichten bis mittleren Depressionen. Johanniskraut
wirkt stimmungsaufhellend und hat kaum Nebenwirkungen. Allerdings setzt
der erwünschte Effekt erst nach rund zwei Wochen ein. Johanniskraut
erhöht die Lichtempfindlichkeit deutlich, und somit tritt ein
Sonnenbrand sehr viel schneller ein.
- Die Wirkung und die notwendige Dosierung von
Antidepressiva schwanken deutlich von Person zu Person. Daher ist es
üblich, verschiedene Präparate auszuprobieren. Es ist wichtig, dass
jedes Medikament ausreichend lange appliziert wird, um den erreichten
Effekt einschätzen zu können. Auch die Dosierung muss hoch genug
gewählt werden. Mit der ersten stimmungsaufhellenden Wirkung ist
innerhalb von 10 bis 20 Tagen zu rechnen. Eine abschließende Bewertung
erfordert die Einnahme über mehrere Wochen.
|
Grundsätze:
|
- Eine medikamentöse Behandlung macht nur Sinn, wenn sie durch therapeutische Maßnahmen flankiert wird.
- Wir achten beim Kontakt mit Ärzten darauf, dass
dieser gleichberechtigt, also "auf Augenhöhe" abläuft. Da wir unsere
Bewohner täglich erleben und teilweise seit vielen Jahren kennen,
beanspruchen wir ein Mitspracherecht bei der Auswahl der richtigen
Therapie.
- Es ist für uns nicht akzeptabel, wenn unsere
Bewohner ein Medikament mit vielen Nebenwirkungen erhalten, nur weil
dieses preiswerter ist und das ärztliche Verordnungsbudget schont.
|
Ziele:
|
- Die Auswirkungen der Depression werden gemildert.
- Der Bewohner ist über die Wirkungsweise und über Nebenwirkungen seines Medikaments informiert.
- Der Bewohner wird von einem fachkundigen Arzt ganzheitlich behandelt.
- Der Bewohner wird vor Überdosierungen und anderen Komplikationen geschützt.
- Nach dem Abklingen der Depressionen wird der Bewohner vor Rückfällen bewahrt.
|
Vorbereitung: |
Indikation
|
Wir prüfen die Notwendigkeit von Antidepressiva, wenn folgende Kriterien erfüllt sind:
- depressive Verstimmung
- Zwangsstörungen
- Antriebsarmut
- Panikattacken und andere Angststörungen
- Alkoholentzugssyndrom
- Schlafstörungen
- notwendige Rückfallprophylaxe bei rezidivierenden depressiven Störungen
- ggf. chronische Schmerzen
|
Weitere Maßnahmen
|
- Wir sorgen für eine ausführliche Anamnese durch
den Arzt. Wenn der Hausarzt mit dem Krankheitsbild überfordert ist,
drängen wir auf eine Überweisung zum Facharzt.
- Wir informieren den behandelnden Arzt über
Krankheitsbilder, die bei der Wahl des richtigen Präparats relevant
sein könnten. Dieses ist insbesondere dann wichtig, wenn mehrere Ärzte
an der Behandlung beteiligt sind und der Informationsaustausch nicht
gesichert ist (auch durch sog. "Ärztehopping").
- Bewusstseinsstörungen unklarer Ursache
- Engwinkelglaukom
- Einnahme von Blutgerinnungshemmern
- beeinträchtigte Funktion der Nieren
- Schilddrüsenfunktionsstörungen
- Prostatavergrößerung
- Harnverhalt
- Vorschädigung der Lunge oder des Herzens
- beeinträchtigte Funktion der Leber
- parallele Einnahme von Barbituraten, Opiaten und Analgetika
- Drogen- und Alkoholkonsum
|
Durchführung:
|
Linderung der Nebenwirkungen
|
Wir versuchen, den häufigsten Nebenwirkungen entgegenzusteuern:
- Mundtrockenheit: Der Bewohner soll Kaugummi
kauen oder Bonbons (insb. saure Drops) lutschen. Die Mundpflege erfolgt
laut Standard "Soor- und Parotitisprophylaxe". Eine gute Zahnpflege
kompensiert das gesteigerte Kariesrisiko.
- Verstopfte Nase: Der Bewohner erhält Nasenspray mit Meersalz, aber keine abschwellenden Nasensprays oder Nasentropfen.
- Niedriger Blutdruck, Kreislaufstörungen und
Kollapsneigung: Wir setzen den Standard "Pflege von Senioren mit
Hypotonie" um. Ggf. erfolgt eine Applikation von Sympathomimetika. Der
Bewohner soll langsam aufstehen. Er erhält ggf. Wechselduschen und
kalte Güsse.
- Verstopfung: Die Standards
"Obstipationsbehandlung - manuelle Ausräumung" sowie
"Obstipationsprophylaxe" werden umgesetzt. Insbesondere soll der
Bewohner viel trinken sowie mehr Ballaststoffe und Sauermilchprodukte
konsumieren.
- Trockene Augen: Es erfolgt eine Applikation von Tränenersatzflüssigkeit.
- Potenzstörungen: Ggf. hilft die Einnahme von Arzneimitteln zur Behandlung der erektilen Dysfunktion.
- Unruhezustände: Der Bewohner soll an der Sport-
und Gymnastikgruppe teilnehmen. Wir beruhigen den Bewohner und
vermitteln ihm die Technik des autogenen Trainings.
- Fingertremor: Der Bewohner soll geeignete
Übungen durchführen. Wir beraten ihn zu alternativen Beschäftigungen
wie lesen oder spazieren gehen. Sinnvoll sind alle Tätigkeiten, die
keine präzise Fingerfertigkeit erfordern. Wir unterstützen den
Bewohner, wenn er den Tremor als ein weiteres Versagen
missinterpretiert.
- Leichte Sehstörungen: Ggf. kann der Bewohner
eine schwache Lesebrille nutzen. Diese kann er an den nächsten
Betroffenen weitergeben, sobald sich die Symptomatik von allein
zurückbildet. Bei massiven Sehbehinderungen wird der Bewohner zeitnah
einem Augenarzt vorgestellt.
- Gewichtszunahme: Der Bewohner erhält
kalorienreduzierte Kost. Er soll mehr Sport treiben und auf Süßwaren
verzichten. Wenn der BMI des Bewohners zuvor zu gering war, wird der
Pflegebedürftige für die Gewichtszunahme gelobt.
- Müdigkeit: Der Bewohner soll sich an der frischen Luft bewegen. Er erhält anregende Tees. Das Schlafverhalten wird angepasst.
Viele dieser Symptome lassen nach wenigen Tagen wieder nach. Ansonsten
ist eine Dosisreduktion oder die Umstellung auf einen anderen Wirkstoff
sinnvoll.
|
Achten auf Vergiftungssymptome
|
- Die therapeutische Breite der meisten
Antidepressiva ist gering. Daher kann es leicht zu Vergiftungen kommen.
Diese zeigen sich durch spezifische Symptome:
- starker Tremor, ggf. Rigor (Muskelstarre) und Ataxie (Störungen der Bewegungskoordination)
- Herzrhythmusstörungen (unregelmäßiger Puls)
- Übelkeit
- Oligurie
- starker Durst
- Durchfall
- Erbrechen
- Pupillenerweiterung
- Müdigkeit
- Schläfrigkeit
- Schwindel
- Muskelschwäche
- tiefer Schlaf (Sopor)
- Atemstörung und Atemlähmung
- Sprachstörungen
- Unruhezustände
- Hämatome und Hautveränderungen
- Bewusstseinsstörungen bis hin zum Koma
- Wenn es hinreichende Anzeichen für eine Vergiftung gibt, wird umgehend der Arzt / Notarzt gerufen.
- Um eine Vergiftung zu vermeiden, werden
regelmäßig die wichtigsten Laborparameter ermittelt, wie etwa der
Lithiumspiegel, Schilddrüsen- und Nierenwerte, Blutbild und Elektrolyte.
|
Weitere Maßnahmen
|
- Der Bewohner darf während der Antidepressiva-Therapie keinen Alkohol oder Drogen zu sich nehmen.
- Kaffee und Tee sowie Grapefruitsaft sollten nur in Maßen konsumiert werden, sie beeinflussen die Wirkung der Medikamente.
- Wir sorgen dafür, dass der Bewohner vom
Hausarzt ausreichend über die Wirkungen und Nebenwirkungen des
Medikaments informiert wird.
- Wenn die Nebenwirkungen unverhältnismäßig stark sind im Vergleich zum Nutzen, bitten wir um eine alternative Medikamentierung.
- Nur bei wenigen Medikamenten ist eine Diät
erforderlich, etwa der Verzicht auf Salami, weiße Bohnen, Saue
+++ Gekürzte Version. Das komplette Dokument finden Sie hier. +++
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
Weitere Informationen
zu diesem Thema |
|
|
Schlüsselwörter für diese Seite |
Depression;
Antidepressiva; Medikament |
|
Genereller
Hinweis zur Nutzung des Magazins: Zweck unserer Muster und
Textvorlagen ist es nicht, unverändert in das QM-Handbuch
kopiert zu werden. Alle Muster müssen in einem Qualitätszirkel
diskutiert und an die Gegebenheiten vor Ort anpasst werden.
Unverzichtbar ist häufig auch eine inhaltliche Beteiligung der
jeweiligen Haus- und Fachärzte, da einzelne Maßnahmen vom Arzt
angeordnet werden müssen. Außerdem sind etwa einige Maßnahmen
bei bestimmten Krankheitsbildern kontraindiziert. |
|