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Version 1.05

Standard "aktivierende Pflege"

 
Der Begriff "aktivierende Pflege" lässt sich inzwischen in wohl jedem Pflegeleitbild finden. Tatsächlich jedoch ist dieses Konzept kaum mehr als eine Worthülse, in die von der Kinästhetik über Bobath bis hin zur Validation oder gar Aromatherapie so ziemlich jede aktuelle Entwicklung hineingestopft wird. Wir haben ein Textmuster erstellt, das die aktivierende Pflege auf die Grundlagen zurückführt und mit dem vorhandenen QM-Handbuch verknüpft.
 

Wichtige Hinweise:

  • Zweck unseres Musters ist es nicht, unverändert in das QM-Handbuch kopiert zu werden. Dieser Pflegestandard muss in einem Qualitätszirkel diskutiert und an die Gegebenheiten vor Ort anpasst werden.
  • Unverzichtbar ist immer auch eine inhaltliche Beteiligung der jeweiligen Haus- und Fachärzte, da einzelne Maßnahmen vom Arzt angeordnet werden müssen. Außerdem sind etwa einige Maßnahmen bei bestimmten Krankheitsbildern kontraindiziert.
  • Dieser Standard eignet sich für die ambulante und stationäre Pflege. Einzelne Begriffe müssen jedoch ggf. ausgewechselt werden, etwa "Bewohner" gegen "Patient".

 

Dieses Dokument ist auch als Word-Dokument (doc-Format) verfügbar. Klicken Sie hier!

 
Standard "aktivierende Pflege"
Definition:
  • In unserer Pflegeeinrichtung wird das Prinzip der aktivierenden Pflege konsequent beachtet und umgesetzt. Durch eine an die Ressourcen und Pflegeprobleme des jeweiligen Bewohners angepasste Versorgung stellen wir sicher, dass dieser auf vorhandene Fähigkeiten möglichst lange zurückgreifen kann. Aktivierende Pflege ist also primär eine Hilfe zur Selbsthilfe.
  • Wir möchten damit insbesondere einer Fehlentwicklung vorbeugen, die in der (Laien-)Pflege häufig zu finden ist. Aus fehlgeleiteter Hilfsbereitschaft werden dem Bewohner Aufgaben abgenommen, die dieser mit etwas Unterstützung auch selbst bewältigen könnte. Damit wird der Verlust an Selbständigkeit, der sich durch den Alterungsprozess oder Krankheitsfortschritt ohnehin ergibt, noch zusätzlich beschleunigt.
  • Die Überversorgung durch Pflegekräfte (und auch durch Angehörige) basiert zumeist auf einer Fehleinschätzung.
    • Die Pflegekraft glaubt, dem Bewohner das Leben zu erleichtern, wenn sie diesem unangenehme oder anstrengende Tätigkeiten abnimmt. Tatsächlich wird das Selbstwertgefühl massiv beeinträchtigt, wenn dem Senioren die eigene Abhängigkeit täglich demonstriert wird. Die Überversorgung kann insbesondere bei Depressionen fatale Folgen haben. Der psychisch erkrankte Senior sieht das Selbstbild der Wertlosigkeit bestätigt. Das Suizidrisiko würde gesteigert.
    • Ein weiterer Faktor ist die vermeintliche Zeitersparnis. Tatsächlich kann die Pflegekraft viele Tätigkeiten schneller durchführen, wenn der betroffene Bewohner dabei passiv bleibt. Langfristig jedoch wird der Bewohner damit zur Unselbständigkeit erzogen. Die Pflegekraft wird immer mehr Aufgaben, die der Bewohner ganz oder teilweise eigenständig leisten könnte, übernehmen. Die Arbeitsbelastung steigt.
  • Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend stellt klar, dass der Anspruch auf aktivierende und rehabilitative Pflege mehrfach gesetzlich festgelegt ist:
    • Nach § 2 Abs. 1 SGB XI sollen die Leistungen der Pflegeversicherung bewirken, dass die Pflegebedürftigen trotz ihres Hilfebedarfs ein möglichst selbständiges und selbstbestimmtes Leben führen, das der Würde des Menschen entspricht. Insbesondere sind die Hilfen darauf auszurichten, "die körperlichen, geistigen und seelischen Kräfte der Pflegebedürftigen wiederzugewinnen oder zu erhalten." Damit ist das Ziel einer aktivierenden Pflege benannt.
    • Nach § 5 Abs. 2 SGB XI gilt, dass Leistungsträger auch nach Eintritt der Pflegebedürftigkeit medizinische und ergänzende Leistungen zur Rehabilitation in vollem Umfang einsetzen und darauf hinwirken sollen, Pflegebedürftigkeit zu überwinden, zu mindern sowie eine Verschlimmerung zu verhindern.
    • Nach § 11 Abs. 1 SGB XI haben Pflegeeinrichtungen die Pflicht, "eine humane und aktivierende Pflege unter Achtung der Menschenwürde zu gewährleisten."
    • § 28 Abs. 4 SGB XI stellt ausdrücklich klar, dass die Pflege auch die Aktivierung der Pflegebedürftigen zum Ziel hat, "um vorhandene Fähigkeiten zu erhalten und, soweit dies möglich ist, verlorene Fähigkeiten zurückzugewinnen".
    • Auch nach dem Heimgesetz haben Bewohnerinnen und Bewohner Anspruch auf eine aktivierende Betreuung und Pflege (§ 11 Abs. 1 Nr. 2 HeimG).
Grundsätze:
  • Im Rahmen der aktivierenden Pflege müssen wir ggf. dem Bewohner eine vollumfängliche Hilfe verweigern, wenn wir der Ansicht sind, dass dieser die Aufgabe ganz oder zumindest teilweise eigenständig durchführen könnte. Uns ist bewusst, dass dieses Konzept auch als mangelnde Hilfsbereitschaft oder Unhöflichkeit missverstanden werden kann. Wir sind daher stets bereit, Bewohnern und Angehörigen den Sinn und Zweck unseres Handelns zu erläutern.
  • Dabei müssen wir insbesondere lernen, dass die uns anerzogene Hilfsbereitschaft in vielen Fällen dem Betroffenen eher schadet als hilft. Der Bewohner muss viele Aufgaben selbst durchführen, auch wenn es für ihn zunächst anstrengend oder unangenehm ist.
  • Jede zurück gewonnene oder bewahrte Fähigkeit des Bewohners bedeutet für die Pflegekraft eine Entlastung.
  • Aktivierende Pflege umfasst alle Aspekte des Lebens. Dazu zählen die Körperpflege, die Nahrungsaufnahme und die Ausscheidung ebenso wie die Kommunikation.
Ziele:
  • Der Bewohner behält eine möglichst weitreichende Selbständigkeit in allen Aspekten des täglichen Lebens.
  • Der Bewohner und seine Angehörigen verstehen, dass wir unnötige Hilfe nicht aus Zeitnot oder Gleichgültigkeit verweigern, sondern einem Konzept folgen, das letztlich den Interessen des Pflegebedürftigen dient.
Vorbereitung: Abgrenzung

Wir unterscheiden zwischen drei Stufen, mit denen das Maß an Unterstützung definiert wird.

  • Bei der vollständig kompensierenden Pflege wird dem Bewohner die Maßnahme komplett abgenommen. Dieser bleibt bei der Durchführung vollständig passiv.
  • Bei der teilweise kompensierenden Pflege beteiligt sich der Bewohner im Rahmen seiner Möglichkeiten an der Durchführung. Die Pflegekraft leitet ihn an, überwacht die Durchführung, assistiert und greift ggf. korrigierend ein.
  • Die selbständige Übernahme der Maßnahme ist das Ziel der aktivierenden Pflege. Der Bewohner führt einzelne Maßnahmen eigenständig durch, ohne dass die Pflegekraft helfen oder den Prozess im Detail überwachen müsste.
Ressourcenbestimmung

Die Pflegeplanung ist das Herzstück der aktivierenden Pflege. Die Pflegeplanung wird stets dem aktuellen Zustand des Bewohners angepasst. Wir prüfen dafür, welche Ressourcen der Bewohner nutzen kann, um ein möglichst selbständiges Leben zu führen. Wir unterteilen dafür die Ressourcen in zwei Bereiche:

  • Innere Ressourcen basieren vor allem auf dem Willen des Bewohners, die Selbständigkeit wiederzuerlangen, auch wenn dieser Weg mühevoll ist. Viele Senioren verfügen auch über einen reichen Erfahrungsschatz, den sie nun für ihre Rehabilitation nutzen können.
  • Äußere Ressourcen sind günstige Faktoren aus dem Umfeld. Dazu zählen etwa Angehörige, die sich aktiv in die Versorgung des Bewohners einbringen möchten. Eine wichtige Ressource sind auch finanzielle Reserven, mit denen Hilfsmittel und Rehabilitationsmaßnahmen bezahlt werden können, die von den Kassen nicht übernommen werden.
weitere Maßnahmen
  • Die aktivierende Pflege wird in das Pflegeleitbild eingefügt. Auch in allen wichtigen Heimprospekten sowie auf unserer Homepage wird die aktivierende Pflege zumindest in den Grundzügen erläutert.
  • Die Pflegekräfte werden für die genauen Abgrenzungen der Begriffe "Anleitung", "Beaufsichtigung", "Unterstützung" usw. sensibilisiert. Allen Mitarbeitern muss klar sein, welche Konsequenzen sich aus entsprechenden Eintragungen in der Pflegedokumentation ergeben. Dieses insbesondere im Prozess der Höherstufung durch die jeweils unterschiedliche Anrechnung der Pflegeminuten.
  • Bei der Erstellung von Pflegestandards achten wir darauf, dass der Aspekt der aktivierenden Pflege konsequent beachtet wird. I.d.R. bedeutet das, dass wir bei der Beschreibung von Pflegemaßnahmen verschiedene Beteiligungsformen berücksichtigen. Beschrieben wird stets eine Variante, bei der die Pflegekraft die komplette Maßnahme ohne Mithilfe des Bewohners durchführt. Gleichzeitig müssen aber auch immer Teilschritte genannt sein, bei denen sich der Bewohner einbringen kann.
  • Der behandelnde Hausarzt wird über alle Maßnahmen informiert, die sich aus unserem Konzept der aktivierenden Pflege ergeben. Gemeinsam prüfen wir, ob die mentalen und körperlichen Ressourcen des Bewohners für eine aktive Beteiligung ausreichend sind. Dieses ist vor allem wichtig bei allen Maßnahmen, bei denen eine falsche Durchführung zu gesundheitlichen Störungen führen kann. Beispiel: Eigenständige Insulininjektionen oder andere Medikamenteneinnahmen.
Durchführung: Motivierung des Bewohners
  • Wir erläutern dem Bewohner frühzeitig, also i.d.R. vor oder direkt nach dem Heimeinzug, die Grundlagen der aktivierenden Pflege. Ihm muss bewusst sein, dass es letztlich in seinem Interesse liegt, die Hilfeleistung durch die Pflegekräfte auf das Notwendige zu reduzieren.
  • Wir suchen den Kontakt mit den Angehörigen. Wir verdeutlichen ihnen, wie wichtig es ist, dass der Bewohner möglichst selbständig bleibt. Insbesondere müssen es die Angehörigen vermeiden, dem Bewohner bei Besuchen jeden Handgriff abzunehmen. Sie sollten gleichzeitig beim Bewohner um Verständnis werben, dass sich dieser aktiv in die eigene Versorgung einbringen soll.
  • Bei der Durchführung der Pflegemaßnahme ist es wichtig, jeden Schritt zu erklären und dem Bewohner zu zeigen, welchen Anteil daran er selbst leisten sollte. Der Bewohner muss den Grund, die Art, die Durchführung, die Wirkung und den Zweck jeder Maßnahme kennen.
  • Ist der Bewohner erfolgreich, sollte er gelobt werden. Im Gegenzug unterlassen wir es aber, bei Misserfolgen den Bewohner zu kritisieren.
  • Wir verdeutlichen dem Bewohner, dass die aktivierende Pflege auch seine Möglichkeiten zur Selbstbestimmung stärkt. Wenn sich der Bewohner z.B. bei der Haarpflege beteiligt, kann er seine Frisur aktiv mitbestimmen.

Grenzen der aktivierenden Pflege

Die aktivierende Pflege ist für uns kein Selbstzweck. Unter verschiedenen Bedingungen verzichten wir darauf, den Bewohner an der Durchführung von Pflegemaßnahmen zu beteiligen:

  • Der Bewohner liegt im Sterben. In diesem Fall erleichtern wir ihm das Leiden, indem wir ihm das größtmögliche Maß an Unterstützung gewähren. Hier allerdings kann die aktivierende Pflege einen Inhaltswechsel erfahren. Aktivieren kann nun auch bedeuten, dass wir dem Bewohner helfen, die letzten Dinge zu regeln und sich mit dem nahenden Lebensende auseinander zu setzen.
  • Der Bewohner hat große Schmerzen, die sich auch durch eine Analgetikaversorgung nicht auf ein erträgliches Maß reduzieren lassen. Hier ist es häufig weniger belastend für den Bewohner, wenn dieser passiv bleibt.
  • Der Bewohner zeigt uns verbal oder nonverbal, dass er sich nicht an den Pflegemaßnahmen beteiligen will. Auch ein persönliches Gespräch mit der Bezugspflegekraft kann ihn nicht umstimmen.

(Hinweis: Nicht alle Senioren sind für die aktivierende Pflege erreichbar. Viele alte Menschen haben keine Motivation mehr, um sich aktivieren zu lassen. Dieses muss nicht zwangsläufig auf Depressionen oder auf eine andere psychische Erkrankung hindeuten, sondern ist ggf. Ausdruck einer "Lebenssättigung". In jedem Fall sollten es Pflegekräfte unterlassen, das Bild des "aktiven Unruheständlers" für allgemeingültig zu erklären und jeder Abweichung davon automatisch einen Krankheitswert beizumessen.)

Nachbereitung:
  • Der Zustand des Bewohners sowie die Veränderungen im Hilfebedarf werden regelmäßig im Rahmen von Pflegevisiten und Fallbesprechungen thematisiert. Insbesondere muss die Pflegeplanung immer aktuell sein und den derzeitigen Hilfebedarf widerspiegeln.
  • Der Umgang mit der aktivierenden Pflege sollte im Team immer wieder kritisch hinterfragt werden. Wir müssen uns insbesondere stets auch der Diskussion stellen, wo das richtige Mittelmaß zwischen "fördern" und "fordern" liegt.
Dokumente:
  • Pflegeplanung
  • Pflegeleitbild
  • Werbematerial der Einrichtung
Verantwortlichkeit / Qualifikation:
  • alle Mitarbeiter
 
   
 
 
Weitere Informationen zu diesem Thema
Schlüsselwörter für diese Seite Aktivierung; Pflege, aktivierende
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