Standard "Maßnahmen nach einem Sturz" |
Definition: |
- Als Sturz bezeichnet man den unkontrollierten freien Fall eines Körpers aus dem Stehen, aus dem Sitzen oder aus dem Liegen.
(Hinweis: Alternative Definition laut Expertenstandard: Ein Sturz ist ein
Ereignis, bei dem der Betroffene unbeabsichtigt auf dem Boden oder auf
einer anderen tieferen Ebene aufkommt.)
- Bedingt durch die reduzierte Knochenmasse,
durch nachlassende Reflexe und durch den Abbau der schützenden
Muskulatur führen Stürze bei Senioren häufiger zu Frakturen und zu
anderen Verletzungen. Diese Ereignisse stehen dann häufig am Anfang
einer stetig fortschreitenden Immobilität.
- Jeder dritte Senior über 65 Jahre stürzt
mindestens einmal pro Jahr. Bei über 80-Jährigen erleidet jeder Zweite
mindestens einen Sturz innerhalb dieses Zeitraumes. Noch höher ist
diese Rate bei stationär versorgten Senioren. Hier stürzt jeder
Bewohner durchschnittlich fast eineinhalb Mal pro Jahr.
- Bei über 65-Jährigen führt durchschnittlich
jeder zehnte Sturz zu Verletzungen, die ärztlich versorgt werden
müssen. Davon ist die Schenkelhalsfraktur mit 120.000 Fällen pro Jahr
der weitaus häufigste Frakturtyp.
- Ein Sturz kann überdies erhebliche finanzielle
Folgen haben. Die Kosten für den Krankenhausaufenthalt, für operative
Eingriffe und für Rehabilitationsmaßnahmen erreichen ggf. fünfstellige
Eurobeträge. Ist ein Sturz die Folge eines Fehlverhaltens einer
Pflegekraft oder eines organisatorischen Mangels der Einrichtung, wird
die Krankenkasse den Verursacher an den Kosten beteiligen. Dazu
addieren sich Schmerzensgeldansprüche des Bewohners. Überdies kann es
zu strafrechtlichen Ermittlungen kommen.
|
Grundsätze: |
- Nach einem Sturz entscheidet vor allem das
besonnene Handeln der Pflegekräfte über das Ausmaß der gesundheitlichen
Schäden. In der Praxis kann durch falsche oder durch verzögerte
Reaktionen ebenso viel Schaden angerichtet werden wie durch den Sturz
selbst.
- Wenn hinreichende Anzeichen für eine Fraktur
oder für innere Verletzung sprechen, wird immer ein Notarzt gerufen.
Die Folgen eines oder ggf. auch mehrerer Fehlalarme wiegen weniger
schwer als eine verzögerte Behandlung bei einem echten Notfall.
- Der Notruf erfolgt auch dann, wenn der Bewohner diesen nicht wünscht, etwa weil er die Gefährdung nicht korrekt einschätzt.
- Jedes Ereignis, das auf einen Sturz hindeutet,
wird ernst genommen. Selbst wenn der Bewohner zunächst nicht über
Schmerzen klagt, wird sein Zustand in den folgenden Stunden engmaschig
kontrolliert.
- Nur bei kleineren äußeren Verletzungen verzichten wir darauf, einen Arzt zu rufen.
- Jeder Sturz wird sorgfältig und unverzüglich
protokolliert. Dieses gilt auch für Ereignisse, die keine Pflegekraft
beobachtet hat, die aber die Folge eines Sturzes sein könnten.
Beispiel: Ein demenziell erkrankter Bewohner wird neben seinem Bett
sitzend vorgefunden. Er kann keine Aussage über die Geschehnisse machen.
- Nur die Pflegedienstleitung und die Heimleitung
sind in Schadensfällen berechtigt, im Namen der Einrichtung schriftlich
oder telefonisch mit der Krankenkasse zu kommunizieren. Dazu zählt
insbesondere das Verschicken von Dokumentationskopien, Unfallberichten
usw.
|
Ziele: |
- Eine etwaige Gesundheitsschädigung des
Bewohners wird korrekt erkannt. Wir leiten zeitnah eine angemessene
medizinische Versorgung ein.
- Die Schmerzbelastung und der emotionale Stress des Bewohners werden minimiert.
- Der behandelnde Arzt erhält alle Informationen, die für die Diagnose und für die Therapie relevant sind.
- Der Vorfall und unsere Maßnahmen werden präzise
und umfassend dokumentiert. Es gibt keine Lücken und keine Widersprüche
in den Unterlagen.
- Die Einrichtung und die Mitarbeiter werden vor unangemessenen Schadensersatzansprüchen geschützt.
- Wir erfassen die Ursachen des Sturzes. Diese Informationen werden im Rahmen der Sturzprophylaxe berücksichtigt.
|
Vorbereitung: |
- Wir achten auf eine fundierte Sturzprophylaxe für alle Bewohner. Der Standard "Sturzprophylaxe" wird sorgfältig umgesetzt.
- Die richtigen Maßnahmen nach einem Sturz werden regelmäßig im Rahmen der Erste-Hilfe-Ausbildung thematisiert.
- Die korrekte Dokumentation eines Sturzes sowie
die rechtlichen Folgen werden regelmäßig in internen und in externen
Fortbildungen vermittelt.
- Wir halten stets aktuelle Fachliteratur zu diesem Thema bereit.
- Alle Pflegekräfte werden instruiert, bei
telefonischen oder bei schriftlichen Anfragen der Krankenkasse
hinsichtlich eines Sturzes auf die Pflegedienstleitung zu verweisen und
selbst keine inhaltlichen Angaben zu machen.
- Wichtig: Im Beisein von Ärzten, Angehörigen
oder anderen dritten Personen darf eine Pflegekraft in keinem Fall über
die Ursache des Vorfalls spekulieren. Denn: Kommt es zu einem
Haftungsprozess, sind diese Personen ggf. Zeugen!
- Wir achten darauf, dass die Pflegeplanung stets
den aktuellen Hilfebedarf des Bewohners widerspiegelt. Dies gilt
insbesondere dann, wenn sich der Gesundheitszustand des Bewohners
bessert. Wir vermeiden damit, dass es zu Widersprüchen hinsichtlich der
laut Pflegeplanung notwendigen Hilfeleistungen und der am Tag des
Ereignisses geleisteten Hilfe kommt. Beispiel: Der Bewohner wird laut
veralteter Pflegeplanung bei jedem Gang ins Badezimmer begleitet, war
am Tag des Sturzes aber allein unterwegs. Was daran lag, dass er seit
einigen Wochen wieder sicher gehen konnte und nach Ansicht der
Bezugspflegekraft keine Begleitung mehr brauchte.
|
Durchführung: |
erste Maßnahmen nach dem Sturz bzw. nach dem Auffinden des Bewohners
|
- Der Bewohner wird mit seinem Namen angesprochen und beruhigt.
- Bei Herz- und Atemstillstand beginnen wir
sofort mit einer Mund-zu-Nase-Beatmung und mit einer Herzmassage. Wir
rufen den Notarzt.
- Die Pflegekraft prüft, ob der Bewohner bei Bewusstsein ist.
- Bei Bewusstlosigkeit wird der Bewohner in eine
stabile Seitenlage gebracht, der Notarzt wird gerufen und es wird ggf.
eine Wolldecke gegen die Auskühlung verwendet.
- Bis zum Eintreffen des Arztes werden permanent die Vitalwerte ermittelt. Ggf. wird der Bewohner reanimiert.
- Hinweis zur Bewusstseinsprüfung: Wir stellen
einfache Fragen, die einer ggf. vorhandenen demenziellen Erkrankung
angemessen sind, etwa nach dem eigenen Vornamen oder dem Vornamen der
Mutter/des Vaters. Wir beobachten den Bewohner genau, während er
antwortet.
(Hinweis für die ambulante Pflege: Die Prüfung
der Pupillenweite erfolgt mittels einer kleinen Taschenlampe, die jede
Pflegekraft am Schlüsselbund tragen sollte.)
- Die Pflegekraft misst Puls und Blutdruck. Diese Daten dienen bei späteren Kontrollen als Vergleichswert.
- Bei Diabetikern wird der Blutzucker gemessen.
- Die Pflegekraft kontrolliert, ob eine Gehirnerschütterung vorliegt. Anzeichen dafür sind:
- Übelkeit oder Erbrechen
- Erinnerungslücken, insbesondere zum Sturzhergang
- Änderung der Pupillenweite
- Kopfschmerzen
- Schwindel
- Die Aussagekraft der Symptome ist begrenzt.
Leicht werden Ursache und Wirkung verwechselt. Es ist wichtig, den
Bewohner nach den Geschehnissen direkt vor dem Sturz zu befragen,
soweit dieses möglich ist.
- Beispiel A: Dem Bewohner wurde nach dem Essen
plötzlich schlecht. Er eilt in Richtung Toilette und stürzt. Die
Übelkeit und ggf. ein Erbrechen sind dann keine Anzeichen für eine
Gehirnerschütterung.
- Beispiel B: Der Bewohner verspürt nachts
Harndrang. Er stolpert über den Teppich und verliert in der Aufregung
Harn. Dieser Urinverlust ist kein Anzeichen für eine Fraktur (siehe
unten).
- Wir prüfen, ob der Bewohner beim Ereignis seine Brille oder sein Hörgerät verloren hat.
- Die Pflegekraft fragt den Bewohner nach
Schmerzen. Dabei rechnet sie stets damit, dass Schmerzen durch den
Schock vielleicht unterdrückt werden.
- Wir prüfen, ob äußerliche Verletzungen
erkennbar sind. Wir inspizieren auch Bereiche, die durch Kleidung
verdeckt sind. Insbesondere wird die Hose geöffnet, um die Knie, Unter-
und Oberschenkel in Augenschein zu nehmen.
(Es ist hier ggf. wichtig, übereifrige
Praktikanten und Hilfskräfte zu bremsen, die den Bewohner sofort wieder
auf die Füße stellen wollen. Der Bewohner bleibt am Boden liegen, bis
Frakturen und schwere innere Verletzungen ausgeschlossen sind.)
- Bei Schmerzfreiheit: Alle vier Extremitäten
werden vorsichtig durch bewegt, um Frakturen ausschließen zu können.
Die Pflegekraft fordert den Bewohner auf, sich auf den Bauch zu drehen.
Danach hilft die Pflegekraft dem Bewohner dabei, in den Vierfüßlerstand
zu kommen. Der Bewohner soll zunächst ein Bein aufstellen und sich dann
aufrichten.
- Wenn Bewohner über Schmerzen klagen, sich nicht
bewegen können, in unnormaler Lage am Boden liegen oder unfreiwillig
Harn verlieren, gehen wir von einer Fraktur aus. Dieses auch bei einem
hörbaren Knirschen der Gelenke. Eine Pflegekraft alarmiert den Notarzt.
Der Bewohner wird nicht in sein Bett gebracht, da durch den Transfer
die gesundheitlichen Schäden größer werden könnten. Eine Decke schützt
den Bewohner vor der Auskühlung.
- Der Bewohner wird bis zum Eintreffen des Arztes
von einer Pflegekraft überwacht. Wir sprechen mit dem Bewohner zur
Beruhigung über vertraute Themen. (Diese ergeben sich aus dessen
Biografie).
- Falls sich der Bewohner übergibt, halten wir die Atemwege frei.
- Ggf. wird die Krankenhauseinweisung
vorbereitet. Insbesondere stellen wir sicher, dass der Weg zum
Rettungswagen freigeräumt ist, da der Bewohner liegend transportiert
wird.
- Wenn der Bewohner trotz offensichtlicher
Verletzungen das Rufen des Notarztes ablehnt, suchen wir den Dialog mit
dem Bewohner und dringen auf eine Änderung seiner Entscheidung. Dafür
wird ggf. eine zweite Pflegekraft als Zeuge hinzugezogen. Wenn wir
glauben, dass der Bewohner akut verwirrt ist (als Folge des Sturzes),
wird dennoch der Notarzt gerufen. Dieses auch, wenn der Bewohner
aufgrund einer demenziellen Erkrankung keine Entscheidungen treffen
kann.
(Hinweis: Nicht selten sind es auch die Pflegekräfte, die zögern, einen
Arzt zu informieren oder den Bewohner in die Arztpraxis fahren zu
lassen. Hier spielt vor allem die Angst eine Rolle, dass sich der
Vorfall als Bagatelle erweist und der Mediziner verärgert ist. Es ist
wichtig, dass Pflegekräfte dennoch im Zweifel immer den Arzt rufen. Sie
sichern sich und die Einrichtung damit auch rechtlich ab.)
- Verbleibt der Bewohner in der Einrichtung, so
wird jeweils nach 1, 2, 6, 12 und 24 Stunden der Gesundheitszustand des
Bewohners erfasst. Kriterien sind:
- Bewusstseinszustand
- Vitalwerte
- Veränderung der Pupillengröße
- Schmerzzustand
- Beweglichkeit
- Schwellungen / Hämatome
- 24 Stunden nach dem Sturz kontrollieren wir, ob
Hirndruckzeichen vorliegen, etwa Druckpuls oder lichtstarre Pupillen.
Die Kontrolle erfolgt ggf. auch in der Nacht.
- In den folgenden Tagen wird der Bewohner beobachtet; insbesondere hinsichtlich von Veränderungen im Gangbild.
(Hinweis für die ambulante Pflege: Die Überprüfung des Zustandes des
Patienten erfolgt ggf. im Rahmen eines oder mehrerer zusätzlicher
Kontrolleinsätze.)
|
Maßnahmen bei Verletzungen
|
- Bagatellverletzungen, also etwa Abschürfungen,
werden versorgt. Wenn die Beweglichkeit des Gelenks gegeben ist und
keine weiteren Verletzungen zu befürchten sind, ist keine Information
an den Hausarzt erforderlich. Aber auch bei Bagatellverletzungen ist es
notwendig, den Bewohner in den folgenden Stunden regelmäßig erneut zu
besuchen und seinen Zustand zu überprüfen.
- Offene Wunden werden steril bedeckt und ggf.
Blutungen mittels eines Druckverbandes gestoppt. Wir fordern ärztliche
Hilfe an. Wir prüfen den Tetanusimpfstatus.
- Jede Wunde, die eine Länge von zwei Zentimetern überschreitet, sollte von einem Arzt untersucht werden.
- Bewohner mit Nasenbluten werden aufgefordert,
den Kopf nach vorne zu beugen und das Blut in einer Nierenschale zu
sammeln. Die Pflegekraft legt dem Bewohner kalte Kompressen in den
Nacken. Wenn der Bewohner viel Blut verloren hat, wird ein Arzt
informiert.
- Besondere Vorsicht ist geboten bei Bewohnern,
die Antikoagulanzien ("Gerinnungshemmer") einnehmen. Der Arzt muss
darüber informiert werden.
- Eine Kühlung von verletzten Körperbereichen
bewirkt eine Schmerzlinderung, reduziert Schwellungen und hemmt die
Bildung von Hämatomen.
|
Informationsbeschaffung für die spätere Dokumentation
|
- Der Bewohner wird zum Verlauf des Sturzes
befragt. Wir fragen insbesondere nach Fremdverschulden, etwa ob er von
einem Mitbewohner geschubst wurde.
- Die Pflegekraft prüft, ob Mitbewohner den Sturz beobachtet haben.
- Der Sturzort wird in Augenschein genommen. Die Pflegekraft prüft, ob ein Auslöser des Sturzes zu erkennen ist.
|
Nachbereitung: |
Richtlinien zur Dokumentation des Sturzes mittels des Sturzprotokolls
|
- Das Ereignis wird noch am gleichen Tag
sorgfältig d
+++ Gekürzte Version. Das komplette Dokument finden Sie hier. +++
-
-
-
-
-
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|