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Version 1.05

Die Anamnese-Falle des MDK

 
Wie wird eine solide Anamnese formuliert? Über diese Frage streiten Pflegeexperten seit Jahren. Eines jedoch ist sicher: Der Medizinische Dienst weiß es auch nicht. Dessen Prüfer fordern mal die eine Durchführung - und bei der nächsten Kontrolle das genaue Gegenteil. Wir zeigen Ihnen, wie Sie Ihre Position durchsetzen.
 


 

Theoretisch kann alles so einfach sein: Die Pflegeanamnese erfasst die Vorgeschichte des Pflegebedürftigen. Alle pflegerelevanten Informationen sollten in diesem "Ist-Zustand" erfasst werden. Also auch persönliche Pflegegewohnheiten, Bedürfnisse, Wünsche sowie Abneigungen. Zudem werden aktuelle Ressourcen, Fähigkeiten sowie bestehende Probleme und Defizite aufgelistet. Die Anamnese dient als Grundlage für die Erstellung der ersten Pflegeplanung.

Bleibt eine entscheidende Frage: Was tun wir danach mit der Anamnese? Regelmäßig aktualisieren? Bei Bedarf gar komplett neu verfassen? Oder unverändert zu den Akten legen? Im MDK-Prüfkatalog und in der Grundsatzstellungnahme zum Pflegeprozess und zur Dokumentation steht dazu nichts. Und so löst der Medizinische Dienst das Problem auf die bewährte Weise … nämlich gar nicht. Dem jeweiligen Prüfer wird stattdessen ein großer Ermessensspielraum eingeräumt. In der Praxis empfinden Pflegeteams diesen jedoch als blanke Willkür. Problematisch wird die Situation insbesondere, wenn jedes Jahr ein anderer MDK-Mitarbeiter kommt. Was im Vorjahr noch richtig war, kann heute schon falsch sein. Und in zwölf Monaten kommt schon wieder der nächste Prüfer.

Einzelfälle? Wohl kaum! Bei unserer Hotline melden sich in den letzten Monaten immer mehr Pflegedienstleitungen und Qualitätsbeauftragte, die  vom Zickzack-Kurs des MDK genervt sind. Was also tun? Ein gutes Mittel gegen diese Gutsherrenart ist normalerweise ein Blick in die Literatur. Wer dem Prüfer ein Fachbuch vorlegt, das die eigene Position unterstützt, hat in der Diskussion zumeist gute Karten. Das Problem: Bei der Anamnese ist die Fachwelt heillos zerstritten. Namhafte Pflegewissenschaftler und Buchautoren vertreten in ihren Veröffentlichungen völlig gegensätzliche Ansichten.

Lehrmeinung Nummer eins: Die Anamnese hält lediglich die Vorgeschichte zu Beginn der Versorgung fest und darf später nicht mehr geändert werden. Die Anamnese beschreibt also den "Ist-Zustand" des Bewohners oder des Klienten bei Aufnahme der Pflege. Jede Überarbeitung würde das Dokument verfälschen. Die aktuelle Entwicklung wird stattdessen im Pflegebericht und in der Pflegeplanung abgebildet. Es liegt an der Bezugspflegekraft, diese Dokumente an neue Pflegeprobleme und Ressourcen anzupassen. Zwangsläufig gibt es im Laufe der Monate immer mehr inhaltliche Unterschiede zwischen der Anamnese und der Pflegeplanung.

Lehrmeinung Nummer zwei: Die Anamnese wird auch nach der erstmaligen Erstellung permanent ergänzt. Neue Informationen werden mit einem weiteren Handzeichen und Datum in der Anamnese festgehalten. Bei gravierenden Gesundheitsveränderungen erfolgt sogar eine komplette Neuerstellung der Anamnese. Die Bezugspflegekraft ist dafür verantwortlich, dass die Pflegeplanung und die Pflegeanamnese inhaltlich miteinander korrespondieren.

Die Folge ist eine große Verunsicherung unter Pflegedienstleitungen und Bezugspflegekräften. Ein paar Beispiele aus unserer täglichen Beratungspraxis.

Bei einer MDK-Kontrolle eines Pflegeheimes in Hamburg kritisiert ein Prüfer die offensichtlichen Widersprüche zwischen der Pflegeanamnese und der Pflegeplanung eines Bewohners. Dieser war drei Monate zuvor in einem verwahrlosten Zustand aufgenommen worden. Die Bezugspflegekraft erstellte in den ersten Tagen nach dem Heimeinzug die Anamnese und fasste darin die zentralen Pflegeprobleme zusammen. Darunter auch folgende: Die Haare und die Haut sind ungepflegt. Aufgrund der Mangelernährung weist der alte Mensch einen BMI von 16 auf. Der Prüfer des Medizinischen Dienstes stellt beim Abgleich mit der Pflegeplanung fest, dass all diese Probleme in der aktuellen Pflegeplanung unerwähnt bleiben.

Was war passiert? In den Wochen nach dem Heimeinzug konnte der Bewohner dazu motiviert werden, sich regelmäßig zu waschen und zu duschen. Der Heimfriseur hat ihm zudem die Haare geschnitten. Auch das Untergewicht ist überwunden. Der Pflegebedürftige hat sich sehr schnell an die Heimkost gewöhnt und normalisierte seinen BMI binnen zweier Monate auf einen Wert von 19. Die Bezugspflegekraft aktualisierte die Pflegeplanung regelmäßig und entfernte einige der nun gelösten Pflegeprobleme.

Ein weiteres Beispiel:

Um jeder Kritik aus dem Wege zu gehen, hat ein Wohn- und Pflegeheim in Niedersachsen die Bezugspflegekräfte dazu verpflichtet, die Anamnese einmal im Jahr komplett neu zu erstellen und an die Pflegeplanung anzupassen. Die Pflegekräfte klagen über den immensen Arbeitsaufwand.

Und das zurecht. Der Anamnese-Bogen umfasst mehrere DIN-A4-Seiten. Das Ausfüllen dauert Stunden. Es geht aber noch extremer:

Ein Pflegedienst aus Niedersachsen hält die Mitarbeiter dazu an, bei jeder Überarbeitung der Pflegeplanung auch die Anamnese zu aktualisieren. Da dieses in der normalen Arbeitszeit nicht zu schaffen ist, ist "Heimarbeit" eher die Regel als die Ausnahme.

Spätestens an diesem Punkt muss eine Pflegedienstleitung einschreiten und den Wildwuchs stoppen. Der aktuelle Zustand wird in der Pflegeplanung und im Pflegebericht dokumentiert. Wenn diese Dokumente sorgfältig und kompetent geführt werden, kann jeder Beteiligte auf einen Blick den Pflegestatus des Senioren erfassen. Alles andere ist Doppeldokumentation.

Für Klarheit sorgt letztlich das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. In der Broschüre "Pflegedokumentation stationär" wird ausdrücklich davon abgeraten, die Pflegeanamnese ständig anzupassen.

"Die Pflegeanamnese wird in dem von der Einrichtung festgelegten Zeitraum durch die zuständige Pflegefachkraft fertig gestellt, datiert und unterschrieben. Ergänzungen werden danach nicht mehr vorgenommen." (Pflegedokumentation stationär, Das Handbuch für die Pflegeleitung, Seite 10)

Es gibt also nur wenige Anlässe, um eine Anamnese zu überarbeiten oder gar komplett neu zu erstellen. Dieses wäre z. B. denkbar, wenn ein Bewohner schwer stürzt und nach langem Krankenhausaufenthalt samt anschließender Reha in die Einrichtung zurückkehrt. Der körperliche und ggf. auch der mentale Zustand haben sich grundlegend geändert, es gibt viele neue Gesundheitsprobleme. Aus pflegerischer Sicht ist es Zeit für einen "Neustart" und somit auch für eine neue Pflegeanamnese.

 
 
 
 
Weitere Informationen zu diesem Thema

Schlüsselwörter für diese Seite MDK; Pflegeplanung; Pflegeanamnese; Amnese; Pflegebericht
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